Autor: David Lehnert

  • Meta Script – Nora van Dijk im Gespräch mit Julian Metzner

    Teil 3 des Interview-Kreises: Die Architektin trifft den Visionär

    (Ort: das Büro von Meta Script. Draußen Nacht, das Licht der Schreibtischlampe wirft scharfe Konturen.

    Zwischen ihnen: zwei Tassen Kaffee, ein Stapel alter Entwürfe, das Geräusch eines Stifts, der gelegentlich klackt.)


    Nora:
    „Julian, du hast Meta Script gegründet – oder besser: gedacht.
    Wie begann das alles für dich?“

    Julian:
    „Mit einem Unbehagen.
    Ich wollte weg von diesem literarischen Dekor, von der Idee, dass Worte nur schön sein müssen.
    Ich wollte, dass sie wieder wirken. Meta Script sollte ein Ort werden, an dem Sprache nicht repräsentiert, sondern lebt.“

    Nora:
    „Und? Lebt sie?“

    Julian (nach kurzem Zögern):
    „Ja. Aber anders, als ich erwartet hatte.
    Ich dachte, ich könnte das Denken in Form bringen – stattdessen hat das Denken mich umgeformt.
    Ihr habt mir beigebracht, dass Struktur nicht bedeutet, das Chaos zu bändigen, sondern ihm einen Rahmen zu geben.“

    Nora:
    „Du sprichst von Rahmen.
    Aber du bist bekannt dafür, Grenzen zu hinterfragen.
    Wie viel Freiheit verträgt ein Konzept wie Meta Script?“

    Julian:
    „So viel, wie seine Menschen tragen können.
    Ein Projekt ist immer ein Spiegel seiner Köpfe.
    Wenn einer von uns zu starr wird, erstarrt das Ganze.
    Wenn einer zu frei wird, zerfasert es.
    Das Gleichgewicht entsteht aus Reibung – aus dir, aus David, aus mir.“

    Nora:
    „Was siehst du in dieser Reibung?“

    Julian:
    „Energie.
    Ich brauche Davids Unruhe, weil sie mich zwingt, wieder zu fühlen.
    Ich brauche deine Präzision, weil sie mich zwingt, wieder zu denken.
    Ich selbst… bin irgendwo dazwischen, immer auf der Suche nach Sinn, der sich nicht aufschreiben lässt.“

    Nora:
    „Du nennst Sprache oft eine Form von Erinnerung.
    Was erinnert sie für dich?“

    Julian:
    „Alles, was wir vergessen wollen.
    Worte speichern Spuren.
    Jedes Mal, wenn wir sie benutzen, öffnen wir etwas Vergangenes, das sich neu formt.
    Sprache ist das Gedächtnis der Welt – aber nur, solange jemand zuhört.“

    Nora (leise):
    „Deshalb also Meta Script.“

    Julian:
    „Ja. Es ist kein Archiv. Es ist ein Echo.“

    Nora:
    „Wenn du einen Satz hättest, um zu sagen, was Meta Script ist – nur einen?“

    Julian:
    „Meta Script ist der Versuch, mit Worten Stille zu schaffen, die nicht leer ist.“

    (Eine lange Pause. Nur das Ticken der Wanduhr, das Rascheln von Papier.)

    Nora:
    „Ich glaube, das war das ehrlichste, was du je gesagt hast.“

    Julian:
    „Und du hast es aufgenommen?“

    Nora (lächelt):
    „Natürlich.“

    (Sie schaltet das Aufnahmegerät aus. Kein Geräusch mehr, außer dem Summen der Lampe.
    Für einen Moment scheint die Stille wirklich nicht leer zu sein.)


    🪶 Redaktioneller Nachsatz (David):

    „Wenn man ihnen zuhört, spürt man, warum Meta Script existiert.
    Drei Menschen, drei Richtungen, ein gemeinsamer Atem.
    Keiner führt, keiner folgt — sie kreisen umeinander wie Gedanken, die sich gegenseitig wachhalten.“

  • Beitrag #1 – Gegen das Glatte – Warum wir das Unfertige brauchen

    David Lehnert – „Lehnerts Randnotizen“


    Es gibt Texte, die fühlen sich an wie frisch gewaschene Bettlaken. Glattgezogen, duftend, ordentlich. Und dann gibt es Texte, die sind wie eine alte Lederjacke: eingerissen, speckig, aber verdammt ehrlich. Ich lese oft Texte, die sich bemühen, richtig zu sein. Richtig im Stil. Richtig in der Grammatik. Richtig in der Absicht. Und dabei frage ich mich: Wo ist der Dreck? Wo ist das Zittern? Wo ist der Moment, in dem der Autor nicht wusste, wie es weitergeht – und trotzdem geschrieben hat?

    Perfektion lügt freundlich.

    Perfektion ist der Filter der Literaturwelt.
    Sie macht alles weich, alles gefällig – und alles ein bisschen leer.
    Ein perfekter Satz ist wie ein Instagram-Post mit Lichtkorrektur: schön, ja – aber hat er je geschmerzt?
    Hat er je gebrannt?

    Wir brauchen nicht mehr Texte, die gefallen.
    Wir brauchen Texte, die etwas riskieren.
    Texte, die noch nicht fertig sind, aber lebendig.
    Die wanken, stottern, stolpern – und gerade deshalb berühren.

    Das Fragment ist keine Schwäche.

    Ich liebe Satzfragmente.
    Ich liebe Halbsätze, in denen etwas fehlt – weil sie Raum lassen.
    Für Zweifel. Für Interpretation. Für uns.

    Ein unvollendeter Gedanke ist wie eine offene Tür.
    Ein fertiger Absatz ist oft nur ein sauber abgeschlossener Käfig.

    Lektorat heißt nicht Glätten.

    Wenn ich Texte bearbeite – was ich oft tue bei Meta Script –,
    dann will ich nicht der Zahnarzt sein, der Karies rausbohrt.
    Ich will der sein, der nach dem Nerv sucht.
    Der fragt: Was wolltest du eigentlich sagen – bevor du Angst bekommen hast, dass es nicht schön genug klingt?

    Die Wahrheit ist rau.

    Ein ehrlicher Text tut manchmal weh – nicht, weil er schlecht ist,
    sondern weil er wahr ist.
    Und Wahrheit ist nie glatt.
    Sie ist rau.
    Sie schabt an dir.
    Sie bleibt hängen.

    Zum Schluss – ein Vorschlag:

    Lass deinen nächsten Text unfertig.
    Lass einen Satz stehen, der nicht ganz aufgeht.
    Lass ein Bild, das zu viel sagt.
    Lass einen Gedanken, der dir peinlich ist –
    denn genau da beginnt Literatur.

    Ein Text muss nicht gefallen.
    Er muss bleiben.

    – David Lehnert